Diesen Sketch schrieb ich für eine Jahresarbeit mit dem Thema "Tod", die Britta für die Heilerzieherschule 1986 gemacht hatte.

©  Carolin Gröhl (1986)

Gespräch im Jenseits

 
 

Ort: Jenseits

Personen:

Frau D. - 40 J., gestorben nach schwerer langer Krankheit

Herr P. - 85 J., normales Ableben

Peter - 22 J., gestorben durch Motorradunfall

Karin - 18 J., gestorben durch Selbstmord

Herr L. - 35 J., gestorben durch elektrischen Stuhl

Soldat - 29 J., gestorben im Krieg


Frau D. (erleichtert aufseufzend): Ach, endlich ist’s vorbei. Jetzt können wir endlich Frieden finden.

Herr L. (entrüstet): Endlich vorbei? Sagen Sie bloß, Sie sind froh darüber, tot zu sein?

Frau D.: Aber sicher. Nach dem, was ich in letzter Zeit durchgemacht habe.

Herr L.: Was Sie in letzter Zeit durchgemacht haben? Meinen Sie, ich hätte nichts durchgemacht? Fünf Jahre saß ich im Knast, verurteilt zum Tode durch den elektrischen Stuhl. Fünf Jahre habe ich darauf gewartet, daß sie mich da raus holen würden, stets in der Hoffnung, daß mein Gnadengesuch Erfolg haben würde. Wissen Sie wie das ist?

Frau D.: Aber sicher, ich kann’s mir vorstellen. Aber ich bin froh, daß ich endlich nicht mehr leiden muß, keine Schmerzen mehr verspüre, daß ich nicht mehr mit ansehen muß, wie ich von Tag zu Tag unansehnlicher wurde. Ist da der Tod nicht besser?

Karin: Da gebe ich Ihnen Recht. Der Tod ist besser als dieses grausame Leben.

Herr P.: Also, ich versteh’ Sie nicht. Das Leben war doch im großen und ganzen sehr schön. Ich jedenfalls habe es genossen.

Karin: Ja, Sie! Sie hatten vielleicht ein schönes Leben. Für mich war es die Hölle. Jeden Tag, jede Stunde habe ich gehaßt, weil ich leben mußte. Leben, so wie es den anderen gefiel. Bei mir ging alles, aber auch alles schief. Ich hatte keine Freunde, mein Elternhaus war bescheuert, die Schule war eine einzige Katastrophe. Ich war eine Versagerin von Geburt an. Nein, für mich war das Leben nicht schön.

Frau D.: Wie sind Sie denn gestorben?

Karin: Ich beging Selbstmord!

Herr L.: Selbstmord?

Karin: Ja, Selbstmord! Ich habe eine Überdosis Tabletten geschluckt.

Peter: Also, da wüßte ich was besseres als Tabletten schlucken.

Herr L.: Ich versteh’ das nicht. Wie können junge, gesunde Menschen nur Selbstmord begehen? Allein daran zu denken ist schon schlimm. Sie hätten doch noch ein ganzes Leben vor sich gehabt.

Karin: Aber was für eins!

Peter: Ich weiß nicht recht. Bisher habe ich immer die Erfahrung gemacht, daß Probleme sich manchmal von alleine lösen. Deswegen braucht man sich doch nicht kaputt zu machen. Wenn ich daran denke, was ich noch hätte alles machen können…

Herr L.: Der Meinung bin ich auch.

Frau D.: Ja, ich finde es auch schlimm, wenn so junge Menschen sterben. Und das auch noch aus eigenem Willen. Sie haben doch noch ein ganzes Leben vor sich.

Karin: Es scheint, als wollten Sie mich nicht verstehen.

Peter: Also, ich für meinen Teil wäre gerne noch etwas unter den Lebenden geblieben.

Herr L.: Wieso sind Sie eigentlich tot?

Peter: Ein Unfall. Ich bin mit meinem Motorrad – ein superheißer Ofen war das übrigens und noch brandneu -, also, ich fuhr mit meiner Maschine auf einer Landstraße, da fing’s zu regnen an. In einer Kurve kam ich irgendwie ins Schleudern und, bumms, da war’s passiert.

Frau D.: Tragisch! Mußten Sie lange leiden?

Peter: Ach nein, gar nicht! Ging alles ganz schnell.

Frau D. (seufzt): Glückspilz!

Peter: Also, wie gesagt, ich hätte gerne noch etwas weitergelebt. Ich hätte nächstes Jahr endlich meine Lehre beendet. Ich hatte sogar schon Aussicht auf ‘nen Job. Karin: Hattest Du eine Freundin?

Peter: Auch das. Ein tolles Mädchen. Zwei Jahre sind, - das heißt, waren wir schon zusammen. Vielleicht hätte ich sie auch bald geheiratet. Na, und meine Eltern hätten bestimmt nichts dagegen gehabt. Meine Eltern waren, ich meine, sind bombig. Sie haben alles für mich getan. Die Maschine habe ich von ihnen geschenkt bekommen. (Er senkt traurig den Kopf) Ich wette, jetzt bereuen sie’s. Sie haben alles für mich getan, und jetzt – jetzt bin ich nicht mehr da. Das ist das, was mich am meisten traurig macht.

Karin: Meine trauern bestimmt nicht lange.

Frau D.: Sowas dürfen Sie nicht sagen. Ich bin überzeugt, daß Ihre Eltern Sie geliebt haben.

Karin: Ich bin nicht so überzeugt davon wie Sie. Meine Eltern hatten sich nie um mich gekümmert. Sogar meinen Geburtstag haben sie vergessen. Und wenn ich mal einen Freund hatte, haben sie ihn mit Erfolg vergrault.

Herr P.: Vielleicht haben sie sich nur Sorgen gemacht, daß Sie an den Falschen geraten?

Karin: Sowas können doch nur Erwachsene sagen.

Herr P.: Glauben Sie mir. Ich hatte selbst Kinder. Drei, einen Jungen und zwei Mädchen. Mittlerweile sind sie selbst verheiratet. Enkel habe ich auch schon. Der Kleinste fing gerade an zu krabbeln. Ein süßer Fratz! Mein Sohn hatte ihn sogar nach mir benannt.

Frau D.: Reizend! Ich wäre auch bald Großmutter geworden.

Herr L. (etwas schadenfroh): Ha, dann tut’s Ihnen also doch leid, daß Sie gestorben sind.

Frau D.: Wenn ich gesund gewesen wäre, bestimmt. Aber so ist’s doch besser, daß ich tot bin.

Herr L. (greift sich an den Kopf vor Verzweiflung): Ich kann’s nicht glauben. Da sterben Leute und sie sind auch noch froh darüber.

Herr P.: Nein, nein, das sehen Sie falsch. Wir sind nicht froh darüber, daß wir tot sind. Nur sehen wir den Tod nicht unbedingt als etwas schlechtes. Ich für meinen Teil hatte keine große Angst vor dem Tod.

Frau D.: Ich auch nicht. Für mich war er eben eine Erlösung.

Herr L.: Ich hatte schon Angst. Ich hatte sogar eine wahnsinnige Angst davor. Als ich auf dem Stuhl saß, habe ich geschrien vor Angst. Mein Leben war zwar – wie man so sagt - verpfuscht, aber ich wollte trotzdem leben.

Peter: Ich wollte auch nicht sterben. Zumindest nicht so jung. Ich wollte so sterben wie…wie…na, wie Herr P. zum Beispiel. Alt werden, ein erfülltes Leben haben, und dann sterben, im Wissen, daß man ein schönes Leben hatte. Einfach in Ruhe einschlafen.

Herr L.: Ja, so hätte ich auch lieber sterben wollen.

Frau D.: Ich auch. Aber leider ist sowas eben nicht immer möglich.

Karin: Warum eigentlich nicht?

Alle zucken mit den Schultern.

Herr L. wendet sich an den Soldaten, der sich bisher nicht am Gespräch beteiligt hat: Wie denken Sie eigentlich darüber? Wie sind Sie gestorben?

Sodat: Durch eine Kugel im Krieg.

Peter: Erzählen Sie. Mußten Sie leiden oder ging’s schnell?

Soldat: Bei mir ging’s schnell. Aber ich habe Kameraden langsam sterben sehen. Ich habe gesehen, wie sie durch Granaten verstümmelt wurden, aber weiterlebten. Zumindest eine Weile. Ich habe sie schreien gehört, sowohl im Feld als auch im Lazarett. Ich habe sie einschlafen gesehen, den Tod als Erlösung betrachtend. Manche haben sich sogar eine Kugel durch den Kopf gejagt, weil sie Angst hatten, verzweifelt oder durchgedreht waren. Ich habe alte und junge Kameraden sterben sehen, die einen betend, die anderen nach ihrer Mutter schreiend. Andere, wie ich, haben gar nicht mitbekommen, wie sie starben. Andere wurden an die Wand gestellt, schrien vor Angst oder waren stumm vor Entsetzen. (Er schweigt eine Weile) Ich habe viele Arten des Sterbens gesehen und mit dem Tod im Feld gelegen. Aber alles, was ich weiß, ist, daß er nur ein Teil des Lebens ist und uns auf verschiedene Art und Weise holt. Ob die Art, wie er uns holt, gerecht ist oder nicht, kann ich auch nicht sagen. Ich weiß nur, daß der Tod uns alle holen wird, früher oder später. Wir müssen alle sterben. Das ist das einzige, was ich über den Tod gelernt habe.

© Carolin Gröhl (1986)